Tagebuchauszüge von Gabriel Stefani (dankenswerterweise vom Spieler zur Verfügung gestellt)
2016-04-01, Freitag, Newtonville/WA.
Das Treffen vorhin verlief viel ansprechender als
befürchtet. Erwartungsgemäß wurde es weniger koordiniert durch Luna als durch
seine Teilnehmer. Wir begannen, nachdem wir die Ablenkung durch einen Penner
überwunden hatten - übelriechender Mensch, wohl mit einer ernsten
Wahrnehmungsstörung... erbettelte sich zunächst eine Mahlzeit, verlangte dann
eine Sonderbehandlung, indem er Luna bat, ihm das angebotene Curry ohne
Fleischeinlage zu servieren, wollte die Mahlzeit zunächst gegen einen toten
Vogel eintauschen, mit dem er sich angeregt unterhielt, und schließlich tunkte
er den Vogel in das Curry. Verrückt. Sei's drum.
Ich war angenehm überrascht, den von mir
hochgeschätzten Mr. Kowalsky im Moonbird zu treffen, ebenso Lunas ältere
Schwester, Miss Amber, die ich seit ihrer Jugendzeit vor bestimmt zehn, zwölf
Jahren nicht mehr getroffen hatte. Eine angenehme, vertrauenswürdige Runde.
Wir diskutierten angeregt. Zwar konnte niemand mit
einem Vorschlag aufwarten, was mit meinem Crowley-Haus vorgehen möge. Ein Blick
von außen auf das Problem hat jedoch nicht geschadet. Man wird ja
betriebsblind! Meine Fotos von verschiedenen Baustadien können von den Motiven
her überall aufgenommen worden sein... oder erschienen, sofern in der Totalen
aufgenommen, an den Rändern überbelichtet, sodass die Umgebung nicht eindeutig
identifizierbar war. Kann ich meiner Erinnerung noch trauen? Ja! Aber immerhin
ein Ansatzpunkt.
Außerdem fiel auf, dass jeder von uns mit ähnlichen
Begegnungen mit einem hellen Lichtphänomen aufwarten konnte. Bei der Frage,
worum es sich handele, gingen die Ansichten
auseinander. Miss Amber schlug vor, es könne sich um
Geister handeln. Mr. Kowalsky tendierte zu bloßen Halluzinationen. Luna
argumentierte überzeugend, dass auf meine Wahrnehmung die Trauer um meine
verstorbene Frau einwirken könnte. Mr. Kowalsky befürchtete, dass Erkrankungen
oder die Aufnahme von Halluzinogenen durch Nahrung oder Trinkwasser der Grund
für die Erscheinungen seien. Dies schien uns die plausibelste Erklärung zu
sein, also vereinbarten wir, in den nächsten Wochen unsere Ess- und
Trinkgewohnheiten, und das Auftreten der Leuchterscheinungen zu protokollieren.
Wir alle stimmten jedenfalls in unserer Sorge um den
Nachbarschafts- und Jugendschutz überein und vereinbarten, zukünftig eng
zusammenzuarbeiten. Die Damen schlugen motiviert regelmäßige Treffen unserer
Runde vor, wobei Luna den Keller des Moonbirds bereitstellte und Miss Amber
sich erbot, dort für uns Platz zu schaffen. Mr. Kowalsky und mir kam alsbald in
den Sinn, unsere Runde als dauerhaftere Korporation zu verfassen: Als
gemeinnützige und damit steuersparende und rechtskräftig vertretbare wie auch
gesellschaftlich ansehnliche Stiftung. Lebhaft diskutierten wir den Namen und
einigten uns auf "Light And Order - Healthcare And Science
Charitable Institute For Young Citizens And Students". Wir
Herren wollen uns in den nächsten Wochen um die nötigen Schritte kümmern.
2016-04-22, Freitag, Newtonville/WA
Es ist vollbracht! Das Light And Order Institute steht
- nach einigen Amtsgängen und produktiven Treffen mit Mr. Kowalsky. Er tritt
als Geschäftsführer der Stiftung auf. Ich werde dem Förderkreis vorsitzen und
schieße zunächst 10.000$ auf das von ihm bei seiner Bank eingerichtete
Stiftungskonto vor. Wir haben unser Institut als Anbieter von Nachmittags-, Ganztagsschul- und Freizeitangeboten bei der St. James
Private School registriert. Luna bietet als sachverständige Jugendleiterin von
Light And Order wöchentliche Yogakurse an, welche gute Anfangserfolge
aufweisen. Sie bemüht sich außerdem gemeinsam mit einer Freundin um die
Gewinnung von Interessenten für unser Anliegen. Miss Amber tritt außerdem als
unsere Jugend-, Lebens- und Ernährungsberaterin auf. Unsere Erstkontakte waren
jedoch noch zu scheu, um ein solches Angebot anzunehmen. Ich fände es
jedenfalls erfreulich, wenn wir noch weitere Förderer für unser Unterfangen
gewinnen könnten. Wir haben im Keller des Moonbirds nun einen kleinen
Dunkelraum zur Selbstentwicklung von Analogfotografien freigeräumt, sowie einen
eigenen Sitzungsraum. Mr. Kowalsky plant ebenfalls die Anschaffung von
chemischen Analysemöglichkeiten - der Experimentiertisch steht immerhin schon.
Heute Abend wollen wir uns wieder treffen, und unsere Fortschritte und Notizen
vergleichen.
2016-04-24,
Sonntag, Newtonville/WA
Liebes
Tagebuch, die Seltsamkeiten häufen sich. Ich schreibe diesen Eintrag im
Moonbird, während die Damen gerade einige Gegenstände suchen und inspizieren.
Beginnen wir
mit Vagabund und Mädchen, (Ed, oder Al, oder Oz, oder wie der Landstreicher genannt wird). Unsere
Light&Order-Besprechung am Freitag wurde mehrmals von lautem Klopfen
gestört, welches ungehindert von der Isolierung unerklärlicherweise bis in den
Keller drang. An der Tür war jedoch niemand weit und breit. Erst als es
klingelte stand der Vagabund vor der Tür - mit einem riesigen, vermutlich
geklauten Einkaufswagen, voller Schmutz und Müll und mit einem traumatisierten
und unterkühlten kleinen Mädchen im Schlepptau, was er bei Jane's aufgelesen
haben wollte. Er behauptete erstens steif und fest, vormals geklopft zu haben.
Für Streiche schien er weder aufgelegt, noch schnell genug auf den Beinen. Das
Mädchen hieß Lilian und war die Jüngste von einer engen Freundin von Luna,
welche schon vermisst und polizeilich gesucht wurde. Natürlich halfen wir und
nach uns sollte auch Ed vernommen werden - und in all seiner Erbärmlichkeit
entspann sich ein unwürdiges Schauspiel exekutiver Machtanmaßung und
polizeilicher Willkür, typisch für die unfähigen unteren Organe, die durch
unsere Volksvertreter eingesetzt werden. Mir gelang es einzuschreiten.
Die Staatsmacht
nahm den Vagabunden zwar für die
berüchtigten 24 Stunden in Gewahrsam, doch ich erbot mich, ihn nachts darauf abzuholen, um ihn nicht
abermals unverdienter Prügel auszusetzen. Ich hatte schon bessere Ideen. Er
kauerte sich auf den Beifahrersitz, als habe er Furcht, jeden Moment
zerquetscht zu werden. Seine Rede war kryptisch, doch sein Wortgebrauch verriet
auf Schlüssigkeit in sich bedachte Gedankengänge – mehrere Fremdworte und die
Erklärung abstrakter Konzepte verrieten auch eine solide, wenn nicht sogar höhere Bildung.
Natürlich war er stark auf Nahrung fokussiert, und auf die Konzepte von Tausch
und Gerechtigkeit. Vom Teilen und gleichzeitiger Nutzung schien er dagegen
nichts zu halten. Er gab jedenfalls an, für die Münzen, von denen er zuweilen
eine gute Handvoll zur Entscheidungsfindung benötigt, getaucht zu haben.
Vermutlich meinte er damit: Von der Straße aufgelesen, da er es zu vermeiden
scheint, den asphaltierten Boden mit bloßen Füßen zu berühren. Vermutlich hält
er ihn für das Meer. Er verlangte, zum Schrottplatz gefahren zu werden, womit
er jedoch das Jane's meinte. Als Dank für die Fahrt steckte er sich den Finger
in den Hals und kotzte mir schließlich von außen gegen die Autotür.
Gemüsereste, Knochen, und was immer das auch einmal gewesen sein mochte. Wie
kommt ein Mann auf solche Gedanken? Am Sonntag stand er schon wieder am Laden
und spielte ein Spiel mit mehreren toten Ratten, die er auf Kreidezeichnungen
nach der Art von Himmel-und-Hölle warf. Er meinte, dass wir mitspielen mögen,
dass wir unsere eigenen Ratten töten sollten - was in Ordnung sei, denn Ratten
seien Verräter. Erinnerte mich daran, dass er kürzlich erst zwei tote und
präparierte Ratten bei Luna gegen Essen eingetauscht hatte. Rätselhaft: Er
hatte ihre Gedärme entfernt und stattdessen Steine in die Bauchgrube gesteckt,
und die Augen durch Knopfaugen ersetzt. Er erzählte jedenfalls auch von Ordnung
und Chaos, dass bei uns ja jetzt Licht und Ordnung sei, und dass wir uns vor
dem Regen in acht nehmen sollten - aber auch vor Sonnenschein, weswegen wir am
besten nicht einmal das Haus verlassen sollten. Kuriose Gestalt. Treibt vor dem
Haus immer noch seine Spiele.
Doch zurück zum Unerklärlichen: Zu Miss
Amber, Mr. Kowalsky und zunächst, was mit ihnen während des Klopfens am Freitag geschah.
Während Luna und ich zum zweiten Mal hoch zur Tür stürzten, geschah unten im
Keller etwas, was Mr. Kowalsky in wahrnehmungslose Starre mit gesträubten
Haaren versetzte, und den restlichen Raum um Miss Amber, einschließlich des
eben noch heißen Tees unter den Gefrierpunkt abkühlte. Miss Amber verriet, dass
sie eine spontane Seance mit einem Geist abhalten wollte, dabei allerdings
gescheitert sei. Unheimlich, rätselhaft, beunruhigend, fesselnd... zweifellos
jedoch übernatürlich.
Später am Tag
kamen Luna und Mr. Kowalsky mit einem Bild in schwarzweiß im Gepäck von einem Besuch bei seiner Mutter im Golden Plains wieder, und
berichteten etwas von weißen Räumen und der Dynamik ihrer
Beleuchtungsverhältnisse... jedenfalls seien sie - Mr. Kowalsky beschwerte sich
aufgebracht über eine Art von Hypnose - von dem Bild gebannt worden, weswegen
sie es aus der Galerie, die sich wohl im Golden Plains gesammelt sein muss,
mitgebracht hätten. Nun, dass mich ein Gemälde so fesselte, dass ich es kaufen
musste, so ging es mir schon häufiger. Mr. Kowalsky - ein brillanter Finanzier,
jedoch bislang meiner Einschätzung nach nicht besonders offen für die schönen
Dinge des Lebens - war die Erfahrung wohl neu. Nun, einmal ist immer das erste
Mal, wenn die Geschmäcker auch verschieden sind. Was immer die beiden auf der
Leinwand auch sahen... ich jedenfalls konnte an der unspektakulären abstrakten
Zeichnung nichts Außergewöhnliches erkennen. Trotzdem verhielten sich die Damen
sehr bedeutsam und hängten es im Laden auf. Dabei beließen wir es immerhin auch
- Miss Amber und ich hatten nämlich drängende Entdeckungen gemacht: Sie erwies
sich als angenehme und interessierte Partnerin für einen Besuch bei meinem rätselhaften J.R.-Crowley-Haus. Nicht nur kam sie schnell mit Nachbarn und Passanten ins Gespräch,
sondern half auch beim Nachstellen der Dokumentationsbilder im jetzigen Zustand
und bei der Entwicklung der Filme. Vor Ort im Haus waren nur die
Einbruchsspuren eines Obdachlosen und Reste chinesischer Fastfoodverpackungen
zu bemerken. Auch ein von ihr gemurmeltes Schutzritual veränderte den Zustand
des Gemäuers nicht. Die entwickelten Fotos jedoch waren äußerst kurios. Sie
zeigten erstens ab dem Zeitpunkt, da Miss Amber zum Fototermin ihr Schutzritual
durchführte, Zimmer und Gebäude in wechselndem Alter und Bauzustand. Zweitens
erschienen auch bei diesem Durchlauf alle Umgebungscharakteristika, die den
Standort des Gebäudes bestimmen könnten, als überbelichtet und damit
unidentifizierbar. Drittens zeigten sie teilweise eine schattenhafte Gestalt -
mal nur als Hand an einer Wand sichtbar, mal schlank, gesichtslos und - auf den
Bildern! - beweglich, sodass die Bewegungen aus den Bildern hinein oder heraus
huschten. Wir bemühten uns vergeblich, die geisterhafte Gestalt mithilfe eines
Salzkreises zu bannen. Sobald wir unsere Ergebnisse Luna und Mr. Kowalsky
zeigen wollten, waren die Bilder leer - komplett weiß!
Die Schwestern
berieten sich daraufhin und wir suchten einen alten Spiegel noch aus Zeiten ihrer Mutter auf,
der angeblich jedem, der hineinschauen sollte, seine wahre Gestalt zeigen
sollte. Erschreckt gaben sie zunächst an, beim Abstauben des Artefakts einen
Geist gesehen zu haben. Ich konnte das nicht bestätigen... wohl aber, dass der
Spiegel kein Gewöhnlicher war. Ich sah mein Spiegelbild, jedoch ohne Gesicht,
nur mit konturierten Haaren und in einem Anzug, der in Windeseile abblätterte
und schwarzes Fleisch freilegte. Auch die weißen Bilder begannen im Spiegelbild
zu flackern und zu flimmern, und in unregelmäßigen Abständen den Schemen im
J.R.-Crowley-Haus zu zeigen... diesmal auch als schwebendes, konturloses
Gesicht, welches mich direkt anzublicken schien. So schnell der Anblick kam,
verschwand er jedoch auch wieder.
Eine jüngste
Überraschung bot sich vorhin im Besuch des neu in die Stadt zugezogenen Mr. Teller im Moonbird. Er zeigte sich kundig in esoterischen
Dingen, war voll des Lobes über den Laden und zeigte Interesse an einer
längerfristigen Förderung unseres Instituts. Fast zu schön, um wahr zu sein! Er
schien ebenfalls darauf bedacht, sich einen genauen Eindruck von den
Fähigkeiten, Methoden und Motiven unserer Runde zu machen. Luna überraschte mit
dem Trick, Blind ein Buch aus einem Regal herauszuziehen, welches ihn
interessierte. Aus einem Regal, welches er sich vorher genau angesehen hatte.
War Lunas Gabe, die er erwähnte, nur eine leere Schmeichelei, und täuschte er
das bibliophile Interesse nur vor - oder erlebte ich tatsächlich ein kleines
Wunder, vor dem ich bislang die Augen verschlossen hatte? Ich bin mir nicht
sicher, was diese Szene bedeutete, aber ich bin mir sicher, dass in jenem
Augenblick mit Luna gespielt wurde - und sie wie ein junger Beagle über ein
Stöckchen sprang. Um dem einen Riegel vorzuschieben und Mr. Tellers Einstellung
zu testen, trat ich als sein Konkurrent beim Kauf des Buches auf. Ich hatte die
Absicht, ihm im Erfolgsfall das Buch bei unserem nächsten Treffen zu schenken,
und darüber einen Einblick in seine Interessen zu erlangen. Er erwies sich als
Sportsmann, auch wenn Luna mir sogleich ängstlich wieder in die Parade fuhr.
Festzuhalten ist, dass Mr. Teller wohlhabend ist - und darauf bedacht, einen
guten Eindruck zu machen.
Wir
vereinbarten soeben, dass wir uns alsbald telefonisch miteinander in Verbindung
setzen wollten, damit ich für ihn den preislichen Wert seines Grundstücks
schätze - und, damit ich ihm eine Mitgliedschaftsvereinbarung für den
Förderkreis des "Light And Order – Healthcare and Science
Institute for Students and Young Citizens" vorbeibringen konnte.
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